Das Äbtissinnenkreuz aus dem Abteischatz in Aachen-Burtscheid

Äbtissinnenkreuz Abteischatz Aachen Burtscheid

Eines der schönsten und handwerklich aufwändigsten Altarkreuze ist für mich das sog. “Äbtissinnenkreuz” aus der Abteischatzkammer der Abtei St. Johann in Aachen-Burtscheid.

Das Kreuz ist bereits seit dem 12. Jahrhundert nachweisbar und ist eines der prominentesten Ausstellungsstücke dieses weniger bekannten Abteischatz-Museums.

Schon bei meinem ersten Museumsbesuch in Aachen-Burtscheid war es Liebe auf den ersten Blick. 😉 Mir war sofort klar, dass ich versuchen will, eine Replik dieses kunsthandwerklich bemerkenswerten Altarkreuzes in der Form eines byzantinischen Doppelkreuzes anzufertigen.

Detail Äbtissinnenkreuz
Detailaufnahme der Replik des Äbtissinnenkreuzes von Aachen-Burtscheid


Das seltene, dreidimensionale Filigran, der reiche Besatz mit Edelsteinen und Perlen, das doppelt aufklappbare Kreuzfach für die Aufnahme einer Reliquie und die sehr aufwändige Gravur der Rückseite weckten in mir die Lust, meine handwerklichen Grenzen an diesem Objekt neu auszutesten.

Gravur Rückseite Äbtissinnenkreuz
Gravur auf der Rückseite der Replik des Äbtissinnenkreuzes


In nahezu 1500 Arbeitsstunden entstand schließlich eine nahezu originalgetreue Replik des Äbtissinnenkreuzes.

Die vorderen Beschläge mit den Edelstein- und Perlenfassungen und dem aufwändigen, 3-dimensionalen Filigran wurden mit 24 Karat Feingold vergoldet. Das eigentliche Highlight aber ist der nahezu originalgetreue und besonders hochwertige Edelsteinbesatz:

32 echte Zuchtperlen, 1 handgeschliffener Bergkristall, 15 blutrote Rubine, 7 kolumbianische Smaragde, 4 Saphire, 3 Berylle, 7 Amethyste, 3 Iolithe und 18 Almandine entfachen ein wahres Feuerwerk.

Das größere, oben aufgesetzte Kreuz (es beinhaltet im Original eine Kreuzreliquie) kann mittels eines an einer kleinen Kette befestigten Splintes geöffnet werden, das kleine Kreuz in der Mitte ist fest verschlossen.

Die aufwändig verzierten Seitenbleche wurden jeweils einzeln handgegossen, manuell eingepasst und anschließend versilbert. Die originalgetreue Replik der Gravur auf der Rückseite (Details zur Darstellung siehe unten) wurde in das Kupfer geätzt, anschließend galvanisch versilbert und von Hand patiniert. im Inneren des Kreuzes befindet sich analog zum Original ein massiver Holzkern.

Der vom Original abweichende, stilistisch jedoch passende Sockel ist eine hervorragende Gründerzeit-Kopie eines romanischen Kerzenleuchters. Er wurde ebenfalls aufwändig nachbearbeitet:

Er ist handpoliert, galvanisch versiegelt und anschließend mit 24 Karat Feingold vergoldet. Der Sockel wurde nur sehr wenig patiniert, um den Charakter der Eigenständigkeit dieses ehemaligen Vortragekreuzes nochmals besonders herauszustellen und so angemessen zu betonen.

Sockel Replik Äbtissinnenkreuz
Sockel der Replik des Äbtissinnenkreuzes


Bei der Anfertigung des Kreuzes wurde bewusst versucht, etwas von dem unvergleichlichen Flair und der besonderen Aura des antiken Originals aus dem Hochmittelalter einzufangen, d.h. die reine Vergoldung sowie die versilberten Seiten und die rückseitige Gravur wurden rundum patiniert – also künstlich gealtert, es wurden absichtlich Dellen und sonstige kleinere Gebrauchsspuren hinzugefügt und die Qualität der Edelstein- und Perlfassungen wie auch des Filigrans wurde weitestgehend an den Zustand des Originals  angelehnt.

Mit dem Ergebnis bin ich noch heute sehr zufrieden. Das ist die Belohnung dafür, dass man möglichst wenig handwerkliche Kompromisse bei der Umsetzung der einzelnen Details macht und somit versucht, mit dem Endergebnis so nah wie nur irgend möglich an das historische Original heranzureichen.

Äbtissinnenkreuz oder Reliquienkreuz


Kunsthistorische Details zum Burtscheider Original:

Kaum hatte mit Helswindis von Gimmenich die erste Zisterzienserinnenoberin den Äbtissinnenstab übernommen (1222), da läßt sich im Burtscheider Schatz ein Reliquienkreuz nachweisen, das zum edelsten gehört, was von rhein-maasländischer Kunst aus der Zeit der Spätblüte im hohen Mittelalter auf uns gekommen ist. Es mißt 34,3 cm und besteht aus einem mit vergoldetem Silberblech bekleideten Holzkern. Reiches Filigranwerk, 35 kostbare Steine, Saphire, Rubine, Amethyste und Rauchtopase und 32 Perlen zieren die Vorderseite, die Rückseite bedeckt eine ganz in Niellotechnik gezierte Platte. Um das Jahr 1860 ergänzte der Goldschmied Dautzenberg auf Kosten eines Fräulein von Loevenich aus Krefeld die fehlenden Teile für 180 Mark. 1866 montierte man das Kreuz auf einen hölzernen Fuß.

Wieder verweist die Form des Doppelkreuzes (sog. Crux bipartita) auf einen vorbildhaften byzantinischen Typ, wie er an Rhein und Maas zu dieser Zeit weit verbreitet war. Dabei dürfte ein byzantinisches Kreuzreliquiar aus der Zeit der Jahrtausendwende, das Philipp II. bei der Konstantinopeler Kreuzzugbeute zugefallen war, für die Kreuzreliquienverehrung im Rhein-Maasland eine besonders wichtige Rolle gespielt haben. Philipp schenkte es der Maastrichter Liebfrauenkirche. Auf abenteuerliche Weise gelangte es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Schatzkammer von St. Peter in Rom. Das Burtscheider Kreuz zeigt verwandte Proportionen, und die Ornamentik seiner Stanzbleche mutet wie eine Vorlage für Filigran an, wie es die maasländischen Werkstätten so geliebt haben. So steht das Burtscheider Kreuz in einer Reihe mit Hauptwerken des Hugo von Oignies und der Ausstrahlung seiner Kunst in Namur, Brüssel, Walcourt und dem Kreuz aus Clairmarais der Kathedrale in St. Omer.

Die Balkenenden münden in Dreipässe. Die eigentliche Reliquienkammer der oberen Kreuzvierung ist von einem flachen, weitgehend ergänzten Kreuz mit Filigran, Steinen in hoch gestellten Krabbenfassungen und Perlen verschlossen. Die untere Kreuzverzierung zeigt ein ähnlich gestaltetes kleineres Kreuz. Kräftig rankendes Ringelfiligran umspielt versetzt angeordnete Edelsteine und die sie begleitenden niedriger gefaßten Perlen. Stanzstreifen mit Blattmuster in floralen Flechtbändern bedecken die seitlichen Kanten. Das dichte Ringelfiligran hat seine nächste Entsprechung am Aachener Marienschrein, der 1238 vollendet war und vornehmlich an der Stirnseite mit dem thronenden Christus, aber auch an der Langseite mit der thronenden Maria vergleichbare Schmuckelemente aufweist. Es sind dies die Teile der jüngeren Marienschreinwerkstatt, so daß schon hier auf eine Entstehung des Burtscheider Kreuzes nach 1230 geschlossen werden kann.

Besticht schon die Schauseite durch die wohlausgewogene Proportionierung seiner Elemente und die zuchtvolle, meisterlich durchorganisierte Pracht seines Schmuckkanons, so ordnet die niellierte Bildseite das Kreuz in die unikale Reihe von Meisterwerken dieser Technik. Selten hat die technisch schwierige Kunst des Niello eine solch souveräne, ja “klassische” Wirkung erzielt als auf dem Burtscheider Kreuz. Durch die wuchernden Ranken, die in unaufhörlich wandelndem Rapport über die Flächen wuchern, wird das Kreuz zum Lebensbaum, verbunden mit der Vorstellung von Christus als dem wahren Weinstock, in dessen Zweige die Mysterien der Erlösungstat Christi eingebettet sind. Die beherrschende Mitte nimmt der Gekreuzigte ein, dessen Sterben in Erlösung durch die Spendung seines lebenschenkenden Blutes verwandelt ist. Unter seinen Füßen sitzt im Zaungeäst Ecclesia und hält einen Kelch, in den die Blutströme aus den Fußwunden des Herrn fließen.

Der Kreuz-Lebensbaum steigt weiter auf mit üppig wuchernden Zweigen, die sich wie zufällig zu einer dem Dreipaß angenäherten Form entfalten, vor der Christus als der Verherrlichte thront. Die Rechte hat er segnend erhoben, die Linke hält das Evangelienbuch. Lilientragende Engel erscheinen in den seitlichen Dreipässen. Sie wenden sich in Profilstellung Christus zu, um Krone und drei Kreuznägel als Symbole von Königtum und Menschennatur dem Rex gloria darzubringen.

Als Kronzeugen der gesamten mystischen Vision erscheinen in den übrigen Enddreipässen die Symbole der vier Evangelisten, die das Kreuz als den Erdmittelpukt umgeben. Doch dem Bildkanon entspricht auch eine Wortverkündigung. Sie umzieht als rahmende Inschrift den Lebensbaum und nennt die Reliquienpartikel, um derentwillen das Kreuz in erster Linie entstanden ist und deren heiligender Kraft das Kreuz seine verklärende Schönheit dankt:

“De san(guine) D(omi)ni, de spin(ea) corona, de ligno s(crucis), de p(rae)sep(e), de sepulcro, de lap(ide) asc(ensioni)s D(omi)ni. de capillo, de vestib(us), de cin(ul)o, de sepuic(ro) be(atae) v(irginis) M(ariae), de reliquiis be(atae) Anne. de re(liquiis) be(at)i Jo(hannis) ba(p)tistae) et omnium ap(osto)lo(rum, Stehph(ani) p(ro)tom(a)r(tyris), Laur(entii), Sixti Vince(ntii), Geor(gii), C(hrist)ofori, Blasiffl, Alex(ii), Eu(sta)thii, Pant(aleonis), Th(eo)d(o)r(i), Flore(ntii), Fab(iani), Seb(astiani), Celsi(i), S(an)c(ti), Co(n)f(essoris) Nicol(ai), Silv(ii), Servat(ii), Ma(r)t(i)ni, Maxim(in)i, Egid(ii), Marie Magd(a)I(enae), Ursu(lae), Marg(aretae), de Capill(is), S. Cather(ina)e, Scol(asticae), de (cruce) Pe(tri), dens S. Bartolemei et dens Si. Andr(eae), de tunica S. Johannis Baptistae, de cratic(ula) S(an)c(ti) Laurentii. “

Der Christustyp deutet auf den Wandel der Christusvorstellung hin, wie er sich zur Zeit der Kreuzentstehung im Wandel vom triumphierenden, gekrönten Christus zum leidenden, sich opfernden Erlöser vollzieht. Die monumentalen Lettnerkruzifixe in Wechselburg und Halberstadt sind die stilbildenden Beispiele, die sich für diese neue Christusvorstellung erhalten haben, von der unser Kruzifix ebenfalls Zeugnis ablegt. An die Stelle der von vier Nägeln durchbohrten Glieder tritt die Dreiernagelung, in der ein einziger Nagel beide Füße zur grausamen Leidensmetapher zusammenfaßt. Der Corpus Christi zeigt oberhalb des faltenbewegten Peroziniums schon einen gewissen Grad von muskulärer Durchformung, andeutend, daß wir an der Schwelle von der byzantinischen Formelhaftigkeit zu einer von Nikolaus von Verdun initiierten Neubelebung antiker Bildformen stehen.

Wie stark jedoch die mittelbyzantinische Version von dem am Arbor vitae “gekreuzigten” Christus auch tragend bleibt für die Darstellung am Burtscheider Kreuz, zeigt ein leider nur noch in einem Gemälde auf einer Tabernakeltür (Wien, Kunsthistorisches Museum) erhaltenes Beispiel. Es ist um 1438 entstanden und wurde Jacopo Bellini (um 1400- vor 1471) zugeschrieben. Wenngleich diese Urheberschaft sehr zweifelhaft ist, so haben wir es in jedem Fall mit einem Maler zu tun, dessen realistische Wiedergabe für diese Zeit ungewöhnlich ist. Er schildert den griechischen Bischof Bessarion, der 1438 zum Konzil von Ferrara-Florenz gekommen war, und nach dessen Auflösung im Lande blieb. Seine kostbaren Handschriften vermachte er der Stadt Venedig. Den Brüdern der Scuola della Caritä schenkte er ein mit späteren Bildern reich geschmücktes Reliquiar, in dessen Mitte die goldene Crux bipartita erscheint. In der Umrißform dem “Maastrichter” Kreuz eng verwandt, zeigt der Kruzifixus größte Ähnlichkeit mit dem Burtscheider Corpus.

Die Zugehörigkeit zum Burtscheider Schatz weist das Kreuz wegen seiner Erwähnung in alten Schatzverzeichnissen auch dokumentarisch als alten Abteibesitz aus. So heißt es in einem Memoriale im Düsseldorfer Staatsarchiv aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts: “Ein Creutz besetzt mit Perlen und Edelgestein samt einem neuen Fuß de anno 1701 mit Stein und Silber verziert.”

Die Frage bleibt zu klären, wie dieses Kreuz verwandt worden ist. Sollte es hauptsächlich ein Vortragekreuz gewesen sein, wie es ein Gewinde aus dem vorigen Jahrhundert, das zum Aufschrauben auf einen Stab dient, glauben machen möchte? Alles spricht dagegen, daß man für den kostbarsten Reliquienschatz, den man im Kloster hütet, ein Vortragekreuz anfertigt. Um die Frage zu klären, bietet sich ein Relief an, das zum Bildschmuck des sogenannten Armreliquiars Karls des Großen gehört. Es dürfte kurz nach der Heiligsprechung Karls des Großen 1165 entstanden und gleichsam ein Vorgänger für den damals in Auftrag gegebenen Karlsschrein gewesen sein. In der rechten der fünf, die vordere Langseite gliedernden Arkaden erscheint Beatrix, die Gemahlin Kaiser Friedrich Barbarossas. “Manibus velatis” mit verhüllten Händen hält sie in der rechten das byzantinische Doppelkreuz. Man ist versucht, in diesem wohl 70 Jahre früher entstandenen Relief für einen Augenblick die Kaiserin mit der Äbtissin auszutauschen – man hätte wohl genau ein Abbild der Funktion, der das Burtscheider Kreuz gedient hat.

Es war im Schatz seiner Reliquienfülle, der Schönheit seines Edelstein- und Bildschmuckes wohl die Insignie der Burtscheider Äbtissin. Sicher ist es kein Zufall, daß das Kreuz zu einem Zeitpunkt entstand, da die Zisterzienserinnen die Burtscheider Abtei übernommen hatten. Ihre vordringlichste Aufgabe muß es gewesen sein, ihrer Abtei ein Hoheitszeichen zu schaffen, das die Äbtissin bei höchsten feierlichen Anlässen “manibus velatis” trug, wie die Kaiserin auf dem Reliquiar Karls des Großen. Der Ursprung dieser Segenskreuze läßt sich auf Eusebius von Caesarea (gest. um 340) zurückführen, der den Triumph Konstantins des Großen vom 29.10.312 schildert: “und da er sich der göttlichen Hilfe bewußt war, so befahl er sofort, daß dem ihm errichteten Standbild das Wahrzeichen des Leidens unseres Herrn, das Kreuz, in die Hand gegeben werde.” Bildhaft leuchtet dieses Motiv in den Mosaiken von San Vitale in Ravenna (um 547) auf. Sie zeigen den Kaiser Justinian und seine Frau Theodora mit ihrem Gefolge. Sie tragen die goldene Patene und den Kelch gleichsam als Darbringung der kaiserlichen Opfergaben in das Gotteshaus. Zu dieser imperialen Bildschöpfung der “Oblatio Augusti et Augustae” gehört auch Erzbischof Maximinianus, der in seiner Rechten die “Crux gemmata” hält. Gleich ihm trug auch in Burtscheid die Äbtissin als stets sich erneuernde Opfergabe das heilige Kreuz in die Kirche.