Ein Brakteat und ein Sondengänger

Foto Replik Seeland Brakteat


Bereits vor einigen Monaten durfte ich in meinem Goldschmiedekurs einen wirklich außergewöhnlichen Gast begrüßen: Ein zertifizierter Sondengänger mit einem leidenschaftlichen Faible für die Zeit der Völkerwanderung wollte sich mit meiner Hilfe einen schon lang gehegten Traum erfüllen: Die Anfertigung einer Replik eines sogenannten „Brakteat“ in Form eines Anhängers.

Dieser Goldschmiedekurs wird mir sicherlich in besonderer Erinnerung bleiben. Konnten wir beide doch ganz wunderbar zusammen unser Wissen über historische Goldschmiedetechniken austauschen, gemeinsam weiter vertiefen und dabei einfach nur fabelhaft und schier endlos lange „fachsimpeln“…


Was ist ein Brakteat?

Die Brakteaten der Völkerwanderungszeit stellen eine besondere Form frühmittelalterlicher Goldblechprägungen dar, die zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert n. Chr. vor allem im skandinavischen und norddeutschen Raum verbreitet waren. Sie gelten als einzigartige Zeugnisse jener unruhigen Epoche, die durch den Zerfall des Weströmischen Reiches, wandernde Stämme und kulturelle Neuorientierungen geprägt war. Anders als die späteren, meist aus Silber bestehenden Brakteaten des Hochmittelalters wurde ein Brakteat der Völkerwanderungszeit aus dünnem Goldblech gefertigt – und erfüllte nicht in erster Linie eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine rituelle und symbolische Funktion.

Der Brakteat ist meist rund, einseitig geprägt und wurde oft als Amulett getragen. Viele besitzen eine Öse oder sind gelocht, was auf ihre Verwendung als Schmuck oder kultisches Objekt hinweist. Ihre Motive sind auffällig und geheimnisvoll: Häufig zeigen sie menschliche Figuren, Tierdarstellungen, Runeninschriften oder Mischwesen, deren genaue Bedeutung bis heute Anlass zu vielfältigen Deutungen gibt. Besonders bekannt ist das sogenannte Typus-C-Brakteat, das eine stehende männliche Figur zeigt, über deren Kopf ein Pferd schwebt – ein Motiv, das oft mit der nordgermanischen Gottheit Odin in Verbindung gebracht wird.

Ein Brakteat dieser Zeit ist stark von der römischen Münzprägung beeinflusst. Viele frühere Exemplare imitieren römische Goldmedaillons oder zeigen stilisierte Porträts, wie sie auf römischen Münzen zu finden waren. Doch mit der Zeit entwickelten sich eigene ikonografische Formen, die sich zunehmend von der antiken Vorlage lösten und germanisch-mythische Inhalte widerspiegelten. Diese Entwicklung deutet auf einen kulturellen Transformationsprozess hin, bei dem fremde Einflüsse aufgenommen und in eine neue, eigenständige Symbolsprache überführt wurden.

Die Funktion des Brakteat ist bis heute nicht abschließend geklärt. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass sie selten im alltäglichen Zahlungsverkehr verwendet wurden. Stattdessen scheint ihre Bedeutung vor allem im magischen oder religiösen Bereich gelegen zu haben. Runeninschriften auf manchen Brakteaten sprechen von Schutz, Heilung oder göttlicher Macht. Viele Forscher vermuten, dass der Brakteat als Schutzamulett diente, möglicherweise getragen von Angehörigen der Elite, um göttlichen Beistand zu erbitten oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Glaubensvorstellungen zu zeigen.

Gefunden wurden solche Brakteaten vor allem in Gräbern, bei Mooropfern oder in Schatzfunden – Hinweise darauf, dass sie einen hohen ideellen Wert besaßen. Ihre Verbreitung konzentriert sich auf den südlichen Ostseeraum, insbesondere Dänemark, Südschweden, Norwegen und Norddeutschland, was ihre enge Verbindung zur germanischen Kultur des Nordens unterstreicht.

Heute gelten die Brakteaten der Völkerwanderungszeit als Schlüsselobjekte für das Verständnis der Frühgeschichte Nordeuropas. Sie erzählen von einer Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter, von der Verknüpfung politischer Macht mit religiösen Symbolen und von einem reichen, aber oft nur fragmentarisch überlieferten mythischen Weltbild. Ihre geheimnisvolle Bildsprache fasziniert bis heute und lädt dazu ein, die spirituelle Tiefe und kreative Ausdruckskraft einer vergangenen Kultur neu zu entdecken.


Gedanken meines Gastes über seine Motivation zur Teilnahme an meinem Goldschmiedekurs:

„…In der Transformationszeit von der Spätantike hinein in das frühe Mittelalter entstand ein Gold-Brakteat, Seeland-II-C genannt. Dieser wurde auf dem Gebiet des heutigen Dänemark gefunden. Das faszinierende an diesem Schmuckstück ist für mich die ganz eigene Formensprache, die diese nordische Kultur bzw. der/die Goldschmied/in entwickelten. Anstatt einfach antike römische Formen zu kopieren, wurde ein eigener Stil erschaffen, der zusammen mit der Inschrift in Futhark (Runen Schrift) einzigartig ist. Die Bedeutung der Inschrift wurde bisher in zwei Varianten interpretiert: Zum einen, „Hariuha heiße ich, der Reisekundige. Ich gebe Schutz auf der Reise“ oder auch „Ich werde Hariuha genannt, wissend um das Unglück bringe ich Glück“. Der Reiter – der vermutlich Odin darstellen soll – und sein Pferd könnten fast einer modernen Illustration entsprungen sein, für mich eine tolle Mischung aus zeitlosem Design, Humor, Spiritualität und handwerklichem Geschick. Irgendwann entstand durch die Faszination für dieses Schmuckstück der Wunsch, es selber herstellen zu können und ich befasste mich mit der Herstellungstechnik solcher Brakteaten. Für einige sehr wichtige Details wie das Fertigen des äußeren Zierdrahtes und das Verlöten der Einzelteile war Hilfe nötig und die erste Anlaufstelle für solche Dinge ist für mich Stefani Köster, die mir schon bei der Herstellung eines Fingerringes vor ca. 3 Jahren geholfen hatte, diesen zu realisieren. Stefani zeigte mir, wie man den Draht herstellt und wie man die dünnen Teile verlöten kann. Wie schon zuvor war es ein tolles Erlebnis für mich, dieses Projekt mit Stefani zu vollenden. Durch ihre jahrelange Erfahrung und die entspannte Atmosphäre in ihrer Goldschmiede war es ein Genuss, dort lernen zu dürfen…“
Michael H.


Impressionen der Fertigstellung der Brakteat-Replik durch Michael in meinem Atelier

Anfertigung Perldrahtumrandung Brakteat
Originalgetreue Wicklung eines Perldrahts als spätere Umrandung für den Brakteat


Detailaufnahme Perldraht für einen Brakteat
Detailansicht der Wicklung eines dünnen Silberdrahtes über einen Kern – ebenfalls aus Silber

Verlöten der Perldrahtumrandung mit dem Brakteat
Verlöten der Perldrahtumrandung mit dem vorher bereits aus Silberblech geprägten Brakteat