Im Frühsommer 2015 erhielt ich vom LVR LandesMuseum Bonn einen besonders außergewöhnlichen Auftrag. Ich sollte anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen eines Originalfundes aus einem Grab einer fränkischen Frau aus dem 7. Jahrhundert eine Rekonstruktion eines Gürtel-Gehänges anfertigen, um den Besuchern der Dauerausstellung des LVR LandesMuseums den ursprünglichen Zustand dieses ungewöhnlichen Schmuckstücks aufzeigen zu können.
Das „Gehänge“ wurde von der fränkischen Dame vom Hals beginnend über eine Gewandschließe bis zum Gürtel und von dort bis knapp über den Boden reichend getragen. Die Gesamtlänge des Originals betrug laut den Berechnungen des Museums ca. 140 cm.
Leider war der Originalfund wegen der weit fortgeschrittenen Korrosion so stark ineinander verbacken, dass eine Freilegung und eine Präsentation des Originalgehänges nicht mehr möglich war.

Daher entstand der Wunsch des Museums, den Besuchern wenigstens eine Rekonstruktion des Gehänges zu zeigen.
In mehreren Gesprächen wurde mit der zuständigen Museumsarchäologin erörtert, aus welchen Materialien das Gehänge hergestellt werden und welche Eigenschaften diese Rekonstruktion im Detail haben soll.
Das neue Gehänge wurde – analog zum Originalfund – aus Eisendraht und Bronze hergestellt. Die exakte Lage und Maße der einzelnen Bestandteile des Gehänges konnte das LVR LandesMuseum Bonn aufgrund von Röntgenuntersuchungen exakt bestimmen.
Nach der Montage aller Bestandteile wurde das Gehänge dem LVR Museum für eine erste Begutachtung überlassen. Nun konnten noch Detailwünsche hinsichtlich der endgültigen Patinierung der Rekonstruktion mit dem Museum abgestimmt und anschließend direkt umgesetzt werden.
Am Ende wurde die Dauerausstellung des Bonner Museums damit um ein Exponat bereichert, welches in einer sehr lebendigen Art und Weise einen Originalfund aus dem 7. Jahrhundert in eine nachvollziehbare Rekonstruktion der Lebenswelt einer Frau aus dieser Zeit integrieren konnte. Beide Exponate – der Originalfund und meine Rekonstruktion – werden seither gemeinsam in einer Vitrine der ständigen Sammlung des LVR Museums in Bonn präsentiert:


Wissenswertes über die Rekonstruktion musealer Goldschmiedeobjekte
Die Rekonstruktion musealer Goldschmiedeobjekte ist ein faszinierendes und anspruchsvolles Unterfangen, das sowohl technisches Wissen als auch historische Forschung vereint. Goldschmiedeobjekte wie Schmuck, Gefäße, Riegel, Siegelringe oder religiöse Artefakte gehören zu den kostbarsten und bedeutendsten Funden der Archäologie und sind oft Zeugen vergangener Kulturen und gesellschaftlicher Hierarchien. Ihre Rekonstruktion ist nicht nur eine Herausforderung für Historiker und Restauratoren, sondern auch ein wertvolles Mittel, um die Geschichte lebendig und greifbar zu machen. Sie hilft, die technologischen Fähigkeiten, die künstlerischen Vorlieben und die kulturellen Traditionen der vergangenen Epochen zu verstehen und zu bewahren.
Bedeutung von Goldschmiedeobjekten in der Geschichte
Goldschmiedeobjekte haben im Laufe der Jahrhunderte viele Funktionen erfüllt: Sie waren Schmuckstücke, religiöse Symbole, Siegel, Statussymbole und oft auch magische oder schützende Artefakte. Besonders in der Antike und im Mittelalter spielten Gold und Edelmetalle eine zentrale Rolle in der Repräsentation von Macht und Wohlstand. Goldschmiedeobjekte wurden in vielen Kulturen als Zeichen des Reichtums und der Macht getragen, sie fanden aber auch in religiösen Zeremonien Verwendung oder dienten als Amulette zum Schutz vor bösen Mächten. In vielen Kulturen wurde Gold als das „Fleisch der Götter“ betrachtet, was den übernatürlichen Aspekt dieser Objekte unterstreicht.
Die Rekonstruktion musealer Goldschmiedeobjekte spielt eine zentrale Rolle im Verständnis vergangener Kulturen. Sie ermöglicht es, verloren gegangene oder beschädigte Artefakte wiederherzustellen und ihre ursprüngliche Form und Funktion zu begreifen. Diese Rekonstruktionen helfen auch, das Handwerk und die Fertigungstechniken vergangener Epochen zu erfassen und das Wissen über historische Kunsthandwerke weiterzugeben.
Der Rekonstruktionsprozess
Die Rekonstruktion von Goldschmiedeobjekten erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise, die Archäologen, Historiker, Restauratoren und Handwerker umfasst. Der Prozess ist vielschichtig und umfasst verschiedene Phasen, von der wissenschaftlichen Untersuchung des Fundes über die genaue Analyse der Fertigungstechnik bis hin zur eigentlichen handwerklichen Rekonstruktion des Objekts.
1. Fundanalyse und Dokumentation
Der erste Schritt in der Rekonstruktion eines Goldschmiedeobjekts ist die sorgfältige Analyse des Fundes. Dies bedeutet, dass der Fund zunächst genau dokumentiert wird: Wie viele Fragmente sind erhalten? Wie groß sind die Fragmente? Welche Teile des Objekts sind noch intakt und welche fehlen? Dabei wird auch die Materialzusammensetzung untersucht. Mithilfe moderner wissenschaftlicher Verfahren, wie etwa Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA), Rasterelektronenmikroskopie (REM) oder Energie-dispersive Röntgenspektroskopie (EDX), lässt sich die genaue Materialzusammensetzung des Objekts feststellen. Diese Verfahren geben Aufschluss darüber, aus welchen Legierungen das Gold besteht und welche anderen Materialien (wie Silber, Kupfer oder Edelsteine) verwendet wurden.
In manchen Fällen sind die Fragmente eines Goldschmiedeobjekts stark beschädigt oder fehlen wichtige Teile. Hier kommt die Restaurierung ins Spiel, bei der die erhaltenen Teile so weit wie möglich stabilisiert und erhalten werden. Dies ist besonders wichtig, wenn das Objekt von unschätzbarem historischen Wert ist oder nur in Fragmenten erhalten wurde.
2. Historische Forschung und Vergleich
Nach der Dokumentation des Fundes folgt die historische Forschung. In dieser Phase wird versucht, das Objekt in seinen historischen Kontext einzuordnen. Welche Zeitperiode wird durch den Fund repräsentiert? Welche kulturellen und sozialen Kontexte müssen berücksichtigt werden? Gab es ähnliche Objekte, die als Vergleich dienen können?
Die Forscher untersuchen frühere Funde aus derselben Zeit oder Region, um Muster zu erkennen, die für die Rekonstruktion hilfreich sein könnten. Dabei können auch historische Quellen, wie etwa antike Schriften, Abbildungen oder Darstellungen von Goldschmiedeobjekten, zur Interpretation beitragen. In vielen Fällen hilft die Literatur oder die Analyse von vergleichbaren Funden, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das rekonstruierte Objekt ursprünglich ausgesehen haben könnte.
3. Materialbeschaffung und -vorbereitung
Sobald die Forschung abgeschlossen ist und das historische Design festgelegt wurde, beginnt der Restaurator oder Handwerker mit der Materialbeschaffung. Für eine möglichst authentische Rekonstruktion wird oft auf die gleichen Materialien zurückgegriffen, die auch bei der ursprünglichen Herstellung verwendet wurden. Das bedeutet, dass die Goldlegierung, die für das Original verwendet wurde, nachgebildet werden muss.
In einigen Fällen wird das Goldschmiedehandwerk der damaligen Zeit in der Rekonstruktion berücksichtigt. Bei der Nachbildung antiker Goldschmiedetechniken werden alte Verfahren wie Gießen, Schmieden, Schneiden, Gravieren, Emaillieren und Löten eingesetzt. Die Herstellung von goldenen Schmuckstücken oder Münzen im antiken Stil erfordert oft hohe Fertigungsfähigkeiten, die durch Handwerker erlernt werden, die speziell in den historischen Techniken ausgebildet wurden.
4. Technische Rekonstruktion und Fertigung
Die Rekonstruktion selbst erfolgt dann durch handwerkliche Fertigungstechniken, die sowohl moderne als auch antike Techniken kombinieren können. Der Goldschmied wird die Entwürfe auf Basis der Forschung umsetzen. Dies kann das Gießen von Gold, das Gravieren von Mustern oder das Anbringen von Edelsteinen und Verzierungen beinhalten. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass viele dieser Objekte oft sehr filigran und detailreich waren, was die Handwerkskunst besonders anspruchsvoll macht.
Das gravierte oder emaillierte Design des Objekts wird unter Berücksichtigung historischer Vorbilder rekonstruiert, wobei die Handwerker entweder mit traditionellen Werkzeugen oder modernen Geräten arbeiten. In vielen Fällen ist es wichtig, dass die Formen, Verzierungen und Symboliken so exakt wie möglich wiederhergestellt werden, um das historische Original zu bewahren.
5. Virtuelle Rekonstruktion
Neben der handwerklichen Rekonstruktion spielen auch digitale Rekonstruktionen eine zunehmend wichtige Rolle. Mit Hilfe von 3D-Scanning und 3D-Druck können Experten die Form und Struktur eines Objekts genau analysieren und rekonstruieren. Diese digitalen Modelle helfen, Lücken in den Fragmenten zu füllen und bieten die Möglichkeit, das rekonstruierte Objekt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, ohne es physisch zu verändern. In einigen Fällen werden digitale Rekonstruktionen sogar für die Präsentation in Museen verwendet, um dem Publikum eine genauere Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen des Objekts zu geben.
Bedeutung der Rekonstruktion
Die Rekonstruktion musealer Goldschmiedeobjekte ist von großer Bedeutung für das Verständnis vergangener Kulturen. Sie ermöglicht nicht nur eine visuelle und haptische Erfahrung der Objekte, sondern bietet auch tiefere Einblicke in die Kunstfertigkeit und Technologie vergangener Epochen. Darüber hinaus trägt sie dazu bei, den kulturellen Wert und das historische Wissen über diese Objekte zu bewahren.
Die Rekonstruktion sorgt auch dafür, dass solche Artefakte nicht nur in Archiv- und Sammlungslagerstätten erhalten bleiben, sondern dem Publikum in Museen zugänglich gemacht werden. Oft stellen rekonstruierte Objekte eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart dar und ermöglichen es, historische und kulturelle Zusammenhänge besser zu verstehen.
Fazit
Die Rekonstruktion musealer Goldschmiedeobjekte ist eine kunstvolle und wissenschaftlich fundierte Praxis, die tief in der Geschichte und der Handwerkstradition verwurzelt ist. Sie ermöglicht es, ein Stück vergangener Kulturen wieder lebendig zu machen und das Wissen um historische Handwerkskunst für die Nachwelt zu bewahren. Durch die Kombination von historischen Forschungen, modernen Analysemethoden und handwerklicher Fertigung können diese Artefakte auf beeindruckende Weise wiederhergestellt und für künftige Generationen zugänglich gemacht werden.