Während meines Volontariats zur Restauratorin am damaligen Rheinischen Landesmuseum Bonn (heute: LVR LandesMuseum Bonn) bekam ich den wundervollen und für mich hochspannenden Auftrag, ein spätrömisches Glas mit Stichelgravur aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. einer umfassenden Restaurierung zu unterziehen.
Ich bekam das Glas in einzelnen Scherben direkt im Original-Fundzustand von einer Grabung im Raum Köln/Bonn.
Gemäß der damaligen allgemeinen Praxis für eine solche Restaurierung sollten die Fehlstellen farblich originalgetreu nachgebildet und damit die ursprüngliche Form des Glases wiederhergestellt werden.
Ich fertigte alle fehlenden Glasteile aus einem passend kolorierten Kunstharz an und ergänzte damit die Originalscherben.
Heute ist das restaurierte Glas ein fester Bestandteil der Dauerausstellung des LVR LandesMuseums in Bonn. Darauf bin ich ganz besonders stolz.

Über die Restaurierung römischer Glasobjekte
Die Restaurierung römischen Glases ist ein faszinierender Prozess, der sowohl technisches Fachwissen als auch ein tiefes Verständnis für die Geschichte und Kultur der Antike erfordert. Römisches Glas, das häufig in Form von Gefäßen, Fensterelementen oder Schmuckstücken erhalten ist, bietet einzigartige Einblicke in die technischen Fähigkeiten und ästhetischen Vorlieben der römischen Zivilisation. Da Glas ein fragiles Material ist, das über Jahrhunderte in Gräbern, Siedlungen oder Wracks überdauert hat, sind viele Stücke stark beschädigt, zerbrochen oder durch Korrosion gezeichnet. Die Restaurierung zielt darauf ab, diese Objekte zu bewahren, ihre ursprüngliche Form wiederherzustellen und ihre Geschichte zu erzählen, ohne dabei den archäologischen und materiellen Wert zu verfälschen.
Der erste Schritt bei der Restaurierung römischen Glases ist die sorgfältige Analyse des Objekts. Experten untersuchen zunächst den Zustand des Glases, um seine Zusammensetzung, seinen Erhaltungszustand und mögliche Schäden zu bewerten. Römisches Glas wurde in der Regel aus einer Mischung aus Sand, Soda und Kalk hergestellt und kann durch chemische Prozesse in der Erde mit der Zeit Korrosionsschichten entwickeln. Diese oft irisierenden Schichten, die durch die Wechselwirkung des Glases mit Feuchtigkeit und chemischen Substanzen entstehen, sind einerseits ästhetisch faszinierend, können jedoch auch die Stabilität des Objekts gefährden. Wissenschaftliche Untersuchungsmethoden wie Röntgenfluoreszenzanalyse oder Rasterelektronenmikroskopie helfen dabei, die chemische Zusammensetzung und den Grad der Schädigung genauer zu bestimmen.
Nach der Analyse folgt die Reinigung des Glases, ein besonders heikler Prozess, da das Ziel darin besteht, Schmutz und Ablagerungen zu entfernen, ohne die Oberfläche zu beschädigen. Oft sind die Korrosionsschichten ungleichmäßig verteilt und fest mit dem Glas verbunden. Konservatoren verwenden deshalb fein abgestimmte Techniken wie mechanische Reinigung mit Mikroskalenpfeilen, die Entfernung von Ablagerungen unter dem Mikroskop oder chemische Bäder, die genau dosierte Substanzen enthalten. Es ist dabei entscheidend, dass keine irreversiblen Schäden entstehen und die ursprüngliche Substanz des Glases möglichst vollständig erhalten bleibt.
Ein wichtiger Aspekt der Restaurierung römischen Glases ist die Rekonstruktion zerbrochener oder unvollständiger Stücke. Da viele Glasobjekte in fragmentiertem Zustand gefunden werden, müssen Restauratoren diese Fragmente oft wie ein dreidimensionales Puzzle zusammensetzen. Um die Stabilität zu gewährleisten, verwenden sie spezielle Klebstoffe, die transparent und reversibel sind. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, fehlende Teile des Glases zu ersetzen oder zu ergänzen. Hierfür kommen moderne Materialien wie Kunstharz zum Einsatz, das so gefärbt und geformt wird, dass es sich harmonisch in das ursprüngliche Objekt einfügt, ohne die authentische Substanz zu verfälschen. Viele Restauratoren entscheiden sich bewusst dafür, Ergänzungen sichtbar zu belassen, um die Grenze zwischen Original und Rekonstruktion klar zu machen und wissenschaftliche Standards einzuhalten.
Ein weiterer wichtiger Schritt in der Restaurierung römischen Glases ist die Stabilisierung des Materials. Insbesondere bei stark korrodierten oder porösen Glasobjekten kann es notwendig sein, das Glas mit Konsolidierungsmitteln zu behandeln, die in die Struktur eindringen und sie stärken. Diese Behandlung wird oft kombiniert mit der Schaffung eines optimalen Lagerungs- und Ausstellungsumfelds, um das restaurierte Objekt vor weiteren Schäden zu schützen. Glas ist besonders empfindlich gegenüber Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, weshalb konstante Bedingungen in Museen und Sammlungen essenziell sind.
Die Restaurierung römischen Glases geht jedoch über die rein technische Wiederherstellung hinaus. Sie dient auch dazu, die Geschichte des Objekts und seinen kulturellen Kontext sichtbar zu machen. Viele Glasobjekte, die aus römischen Gräbern, Villen oder Handelsplätzen stammen, erzählen Geschichten über die Handelsrouten, den sozialen Status ihrer Besitzer oder die technische Entwicklung der Glasherstellung. Die Restaurierung ermöglicht es, diese Geschichten besser zu verstehen und zu vermitteln. Durch die Rekonstruktion von Form und Funktion eines Objekts können Wissenschaftler und Besucher Einblicke in das Leben in der römischen Antike gewinnen, sei es durch die elegante Form eines Parfumfläschchens, die auf die Bedeutung von Kosmetik hinweist, oder durch ein einfaches Trinkgefäß, das den Alltag der Menschen widerspiegelt.
Ein weiterer Aspekt der Restaurierung römischen Glases ist der ethische Umgang mit dem Material. Restauratoren müssen stets abwägen, wie weit sie in den Prozess der Rekonstruktion eingreifen dürfen, ohne die Integrität des Objekts zu gefährden. Die Balance zwischen Bewahrung und Ästhetik ist ein zentrales Thema in der modernen Restaurierungspraxis. Viele Restauratoren verfolgen heute einen Ansatz der „minimalen Intervention“, der darauf abzielt, die ursprüngliche Substanz so wenig wie möglich zu verändern und die Spuren der Zeit als Teil der Geschichte des Objekts zu respektieren. Gleichzeitig gibt es Fälle, in denen eine vollständige Rekonstruktion notwendig ist, um ein Objekt überhaupt wieder erkennbar oder stabil ausstellbar zu machen.
Neben den traditionellen Methoden hat die Restaurierung römischen Glases in den letzten Jahren von technologischen Fortschritten profitiert. Digitale Techniken wie 3D-Scanning und -Modellierung ermöglichen es, Fragmente virtuell zu rekonstruieren oder fehlende Teile zu ergänzen, ohne das Original zu berühren. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, beschädigte oder fragmentierte Objekte zu visualisieren und zu analysieren. Auch der 3D-Druck wird zunehmend genutzt, um exakte Repliken von römischem Glas herzustellen, die in Ausstellungen oder für Bildungszwecke verwendet werden können.
Die Restaurierung römischen Glases ist somit ein multidisziplinärer Prozess, der Kunst, Wissenschaft und Geschichte miteinander verbindet. Sie erfordert nicht nur handwerkliches Können und technisches Wissen, sondern auch ein tiefes Verständnis für die kulturellen und historischen Dimensionen der Objekte. Durch die Restaurierung wird das fragile Erbe der römischen Antike bewahrt und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Gleichzeitig wirft sie grundlegende Fragen über den Umgang mit kulturellen Artefakten auf und zeigt, wie moderne Technologien und Methoden dazu beitragen können, die Vergangenheit lebendig zu halten. Römisches Glas ist nicht nur ein Zeugnis der handwerklichen und ästhetischen Meisterschaft der Römer, sondern auch ein Medium, das uns dazu einlädt, über die Zerbrechlichkeit und den Wert unseres kulturellen Erbes nachzudenken.