Ja, es stimmt: Dieser Blog-Beitrag hat nun wirklich so gar nichts mit dem Thema „Goldschmieden“ zu tun. Aber es gibt eine historische Möbelgattung, die mich bereits seit sehr vielen Jahren ganz besonders fasziniert und deshalb in mir den Wunsch reifen ließ, irgendwann mal eine eigene Replik davon anzufertigen: Der flämische Kabinettschrank.
Kabinettschränke entwickelten sich aus den frühen Schreibmöbeln und waren seit der Zeit der ausgehenden Renaissance und dem nachfolgenden Barock fester Bestandteil vor allem höfischer und gutbürgerlicher Inneneinrichtungen. Darin wurden vorzugsweise die damals so beliebten Kunstkammer-Objekte wie etwa seltener Schmuck, Edelsteine, Gemmen, Münzen, Muscheln oder sonstige, damals besonders exotische Kleinodien aufbewahrt und dann gelegentlich den staunenden Besuchern des Hauses stolz und fachsimpelnd präsentiert.
Dieses Möbel war also vorwiegend zur Repräsentation gedacht und daher in der Regel auch besonders prachtvoll ausgestattet. Das konnten neben Intarsien aus seltenen und edlen Hölzern, Marketerien aus Halbedelsteinen oder Silber und Schildpatt auch aufwändige Gemälde sein, die die Außenseiten des Kabinettschranks, die Türen innen und außen, ja oft sogar die Schubladenfronten im Innern eines solchen Kabinettschranks schmückten.
Höhepunkt waren außerdem perspektivisch gestaltete, winzige „Theaterbühnen“ mit Säulen, Spiegeln und prächtigem Einlegeparkett, die sich zur Überraschung der staunenden Besucher hinter den kleinen zentralen Innen-Mitteltüren verbargen. Hier ein wundervolles Beispiel aus dem Metropolitan Museum of Art in New York:
Vor allem flämische Kabinettschränke waren schon damals für ihre exzellente Qualität bekannt und deshalb bei den zahlungskräftigen Kunden und besonders in Adelskreisen in ganz Europa sehr beliebt. Und gerade ein solches Beispiel mit aufwändiger Gemäldeausstattung und den zeittypischen Flammleisten bzw. Wellenleisten hatte es auch mir besonders angetan. Als Vorbild für meine geplante Möbelreplik sollte mir also ein flämischer Kabinettschrank mit reicher Gemäldeausstattung und dem typischen Unterbau mit gedrechselten Füßen und Ornamenten dienen.
So begann ich also bereits vor fast zwei Jahrzehnten mit den initialen Planungen und den ersten Materialbeschaffungen für meine Replik. Es gibt leider nur noch sehr wenige Fachleute auf der Welt, die beispielsweise in der Lage sind, diese wunderschönen und zeittypischen Wellenleisten (etwa als Gemälde-Umrandungen) nach historischem Vorbild noch heute in einer überzeugenden Qualität herzustellen.
Ursprünglich dachte ich sogar darüber nach, den reichen Schildpatt-Besatz in seiner filigranen Elfenbeineinfassung auch an meinem Kabinettschrank wiederzugeben. Ich hatte sogar schon einen Lieferanten für Zelluloid-Schildpattersatz in den USA ausfindig gemacht und mir von dort Materialproben liefern lassen. Schließlich aber verzichtete ich schweren Herzens vor allem aus Zeitgründen auf diese Details und auf die aufwändigen Vergoldungen am Untertisch. Schließlich wollte ich die Fertigstellung ja gerne noch selber miterleben. 😉
Die finale Ausstattung mit den originalgetreuen Wellenleisten, den ebenso extra übereinstimmend gedrechselten Füßen und den zierlichen Zapfen des Unterbaus sowie mit meinen barocken Lieblings-Landschaftsgemälden „Ein Blick auf Het Steen am frühen Morgen“ von Peter Paul Rubens (für die beiden großen Vordertüren – Rubens hatte das Schloss Het Steen bei Mechelen gekauft und dort gemeinsam mit seiner jungen Frau Helene Fourment die letzten fünf Jahre seines Lebens verbracht) und vier weitere Bilder von Meindert Hobbema (für die Außenseiten) schienen mir für ein befriedigendes Endergebnis dann doch mehr als ausreichend zu sein.
Die markanten Tischbeine und die kleinen Zierteile des aufwändigen Untertisches hatte ich mir schon vor vielen Jahren von einem erfahrenen Drechslermeister extra nach dem historischen Vorbild anfertigen lassen. Die Wellenleisten habe ich mir kurze Zeit später in Österreich und in Antwerpen bestellt und sogar persönlich dort abgeholt. Eher zufällig fand ich noch eine passende, umlaufende und perfekt gekehlte Buchenleiste als Rahmen für das oberste „Deckelfach“ des Kabinettschranks. Einige kleinere Holz-Zierteile kamen zuletzt sogar aus dem fernen China. Die mit speziellem Buchbinderleim sicher fixierten Gemälderepliken sind übrigens hochwertige Kunstdrucke auf echter Malerei-Leinwand mit einer kräftigen finalen Firnisschicht.
Der fertige „Rohbau“ meines Kabinettschranks wurde fünffach gebeizt, für eine überzeugende antike Optik mit künstlichen Holzwurm- und Gebrauchsspuren versehen, mit Stahlwolle patiniert und danach geölt und schließlich mit echtem Schellack versiegelt.
Bei einem Spezial-Lieferanten für Hobby-Uhrmacher fand ich die passenden Türscharniere für meinen Kabinettschrank, das hinreißend schöne Schlüsselschild mit der Löwenmaske stammt aus einem Online-Auktionshaus. Alle Metallteile habe ich mir als Belohnung für den ganzen Aufwand in unserem Goldschmiede-Atelier extra in 24 Karat echtvergoldet.
Auf das Endergebnis bin ich – ganz und gar unbescheiden – dann doch mächtig stolz. Meine selbstgebaute Möbelreplik kann sich wirklich sehen lassen. Die mehrmonatigen Anstrengungen und jahrelangen Vorbereitungen wurden am Ende – wie ich finde – fürstlich belohnt. Und in der letzten Abendsonne spielt er dann seinen ganzen Charme aus … 😉
Ach ja … und für alle die sich fragen was wohl im Innern dieses Kabinett-Schranks verborgen ist: Er versteckt neben zwei Stillleben von Willem Claesz Heda auf den Innenseiten der Vordertüren noch gekonnt den Altersruhesitz meines inzwischen in die Jahre gekommenen Fernsehgeräts mitsamt der Audioanlage inklusive des ganzen Kabelsalats, ja sogar noch einen kleinen Blu-ray-Player im obersten Klappfach.
Das war im frühen Barock dann wohl doch vermutlich ganz anders…..