Im Sommer 2020 bekamen wir in unserem Goldschmiedeatelier einen sehr außergewöhnlichen Besuch: Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens und seine Frau nahmen sogar ein längere Anreise mit dem Auto in Kauf, um bei uns die Replik eines original-spätrömischen Ringes mit Lagenachat aus dem Ende des 3. Jahrhunderts in Auftrag zu geben.
Unsere Kunden waren kurz zuvor über den Kunsthandel in den Besitz dieses außergewöhnlichen antiken Goldrings gelangt. Da der Ring aber in dieser Opulenz eher selten ist und unsere Kundin den Ring so sehr mochte, dass Sie ihn am liebsten am eigenen Finger tragen wollte – ein Eingriff in die historische Substanz jedoch nicht in Frage kam – nahmen beide kurzerhand unseren Vorschlag an:
Es sollte stattdessen eine originalgetreue Replik des historischen Rings in einer neuzeitlichen und für unsere Kundin passenden Ringweite angefertigt werden. Dabei sollten die – einem bequemen Tragekomfort eher hinderlichen Defekte am Original – wie zum Beispiel eine gebrochene Ringschiene und ein vermutlich durch einen Stoß schiefsitzender Schmuckstein nach Möglichkeit korrigiert werden. Ansonsten sollte die Detailtreue und die finale Patinierung dem antiken Original möglichst nahe kommen.
Unsere Freude über diesen ungewöhnlichen Auftrag war selbstverständlich groß. Bekommt man doch nur selten ein solch aufwändiges und wertvolles Original aus nächster Nähe zu Gesicht. So konnte ich doch dabei all meine handwerklichen Erfahrungen über historische Goldschmiedetechniken anwenden und zum Beispiel bei der kompromisslosen Patinierung ebenfalls voll ausspielen. Man fühlt sich dabei den antiken Goldschmiede-Meistern eigentümlich nahe und verbunden. Wunderbar.
Der fast 1700 Jahre alte Originalring besteht aus annähernd 950/– Gelbgold und ist mit einer besonders aufwändigen Ringschiene aus gekordelten und schlangenförmigen Golddrähten versehen. Außerdem schmückt das Zentrum des Rings ein mit Blattornamenten (?) gefasster und in seiner Farbverteilung wohl seltener und zeittypischer Lagen-Achat.
Rückfragen bei – auf die römische Antike spezialisierten – Kunsthistorikern eines Landesmuseums ergaben, dass der Ring auf Grund seiner Ausstattung vermutlich direkt aus dem Zentrum des damaligen römischen Reiches stammen könnte, wenn nicht sogar aus Rom selbst. Sicherlich gehörte er einem Römer oder einer Römerin aus den allerhöchsten gesellschaftlichen Kreisen.
Interessanterweise erfuhren wir dabei auch, dass ein solcher Ring wegen seiner winzigen Ringweite vielleicht nicht in der heute üblichen Weise ganz tief unten am Finger getragen wurde, sondern durchaus schon auf oder kurz hinter dem ersten vordersten Fingergelenk – also direkt hinter der Fingerspitze.
Unser besonderes Augenmerk lag zunächst auf der Beschaffung eines möglichst ähnlichen Lagenachats. Leider waren unsere Bemühungen bei mehreren großen Lieferanten in der Edelsteinstadt Idar-Oberstein, bei unserem Edelsteinschleifer, im weltweiten Internet und bei diversen weiteren Quellen ohne Erfolg. Zu selten war offenbar die exakte Reihenfolge, Breite und Farbgebung der aufeinanderliegenden natürlichen Achatschichten, als dass man am Markt ein passendes Mineral dafür in einem akzeptablen Zeitraum hätte finden können.
Nach Abstimmung mit unseren beiden Kunden entschieden wir uns schließlich für die Beauftragung einer sogenannten Lagenachat-„Triplette“ bei unserem Edelsteinschleifer. Das Ergebnis seiner Bemühungen ließ dann schließlich keine Wünsche mehr offen:
Nun konnte es an das Schmelzen der originalgetreuen Goldlegierung gehen. Dabei wurden ca. 95% Feingold mit ca. 5% Feinsilber legiert, d.h. durch starkes Erhitzen unter einem Gas-Brenner miteinander verbunden.
Bei etwa 1100 Grad verschmolzen beide Metalle schließlich zu einer dem antiken Original entsprechenden Legierung. Dabei geht es ziemlich martialisch zu: 😉
Das so gewonnene Ausgangs-Edelmetall konnte jetzt anschließend in die gewünschten Ringornamente der Ringschiene und der Edelsteinfassung für den Lagenachat umgeformt werden. Dazu wurden zum Beispiel verschiedenste Drähte für die Anfertigung der Ringschiene ausgewalzt und anschließend teilweise miteinander verkordelt, also ineinander verdreht:
Zuvor wurde die Ringschiene probeweise erst einmal in Feinsilber angefertigt, um die einzelnen Verarbeitungsschritte und die exakten Materialstärken zu ermitteln und deren mögliche Belastbarkeit durch das spätere Verlöten und Dehnen vorab auszutesten.
Der Perldraht wurde zum Beispiel mit Hilfe einer neuzeitlichen CD geformt. Das war bei den alten Römern allerdings vermutlich anders. 😉
Jetzt konnten alle einzelnen Goldornamente der Ringschiene miteinander verlötet werden.
Zum Schluß wurde die Ringschiene und der Ringkopf samt Edelsteinfassung miteinander verbunden und der schöne Lagenachat konnte eingefasst werden. Danach wurden alle Bestandteile nochmals aufwändig patiniert, d.h. die Oberfläche des Rings wurde dem antiken Original in Bezug auf die Abnutzungsspuren angeglichen.
Die Begeisterung unserer beiden Kunden war ihnen ins Gesicht geschrieben. Wir konnten die Erwartungen offenbar voll erfüllen und waren deshalb nach erfolgter Ringübergabe hier in unserem Atelier ganz beseelt und sehr glücklich über diesen dankbaren und spannenden Auftrag.